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Bettina Schullers Erinnerungen an „eine Jugend in Siebenbürgen"

26. März 2013


Bettina Schuller: Führerkinder


Die Schriftstellerin Bettina Schuller. Foto: Bonnie Tillemann

„Das alles ist siebzig Jahre her. Meine Erinnerung – ich bitte um Verständnis – mäandert ohne Disziplin von Assoziation zu Assoziation. Sie ist wohl längst nicht mehr ,linear' genug." Gleichsam als Motto des neuen Buchs darf man diese Sätze der 84-jährigen Bettina Schuller verstehen, die zwar nicht auf der ersten Seite, aber doch am Anfang ihrer kürzlich erschienenen Erinnerungen „Führerkinder. Eine Jugend in Siebenbürgen" stehen. Die Schriftstellerin erzählt von ihrer Kindheit und Jugend in Kronstadt von 1936 bis 1945 und lässt uns ein wenig von dem ahnen, was junge Menschen an der Nazi-Diktatur fasziniert, wie verheerend und nachhaltig die Propaganda gewirkt und sie beeinflusst hat, wie verlockend selbst ein tödliches Gift sein kann.

Alles beginnt mit den Olympischen Spielen 1936 in Berlin, die in Gestalt eines in rostrotes Leinen gebundenen Buches mit goldenen Buchstaben Einzug ins elterliche Wohnzimmer halten und „Stoff überaus begeisterter, temperamentvoller Gespräche" sind. Leni Riefenstahls Fotografien der Olympiade faszinieren die siebenjährige Bettina ebenso wie das ganze „Wunderland" Deutschland, „auferstanden wie der Vogel Phönix aus der Asche, auferstanden aus der Schmach des Versailler Friedens, aus Hunger und Arbeitslosigkeit, geführt von dem einstigen Gefreiten im Ersten Weltkrieg. Durch ihn wieder geachtet, ja bewundert: durch Adolf Hitler, den Führer."

Schonungslos klingt das für heutige Ohren, aber in Bettina Schullers jungen Jahren ist diese Haltung Konsens, und zwar nicht nur im „Reich", sondern ebenso jenseits der Wälder, im fernen Siebenbürgen, Heimat von ca. 250.000 Siebenbürger Sachsen, die als „Volksdeutsche" gelten. Rote Hakenkreuzfahnen wehen (aus der familieneigenen wird sehr viel später ein Kleid für Bettina und noch viel später ein Putzlappen), „der Hitlergruß florierte in den schönen deutschen Gassen und Plätzen", man gehört selbstverständlich und ungefragt der Deutschen Jugend an, trägt Uniform und geht zu Heimabenden und zum Arbeitsdienst. Bettina, die in einem aufgeklärten Elternhaus aufwächst und deren Mutter Hitlers Reden als „hysterisches Gekreisch" verunglimpft, ist eine glühende Anhängerin der Bewegung und macht begeistert mit. Ohne Boshaftigkeit zwar, aber mit dem bei jungen Menschen so typischen, vorbehaltlosen Eifer – die perfide Propaganda zeigt Wirkung. Geradezu berauscht ist sie, begeistert, großartig und „treu, stolz und edel wie ein deutsches Mädel", dazu „nordisch" vom Scheitel bis zur Sohle, wie eine Untersuchung in der Schule zeigt. „Wir merkten nicht, wie wir indoktriniert wurden, wie unser Urteil, unsere Wahrnehmung die Wirklichkeit nicht wahrnahm. Wir gehörten zur besten und schönsten Rasse, und das blendete uns wie ein Scheinwerfer", stellt die Autorin 70 Jahre später trocken und treffsicher fest.

... Trotz aller Blendung erlebt Bettina eine normale Kindheit mit Schule, Freundinnen, sommerlichen Ausflügen und der ersten großen Liebe. Als deutsche Soldaten in Kronstadt stationiert werden, sind alle in heller Aufregung, besonders die jungen Mädchen, „und die jungen Offiziere heirateten die hübschesten in der kurzen Zeit ihrer Stationierung vom Fleck weg". So weit kommt es bei Bettina nicht, aber eines Tages im Freibad erscheint ihr „der schönste Mann der Welt" – Willi. Sie verbringen viel Zeit miteinander, gehen spazieren, unterhalten sich; zu mehr kommt es nicht, aber der erste Schwarm hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Nach dem Frontwechsel Rumäniens im August 1944 verschwinden die deutschen Soldaten, und mit ihnen Willi. Bettina bleiben drei Fotos, und in ihren Erinnerungen fragt sie sich, was wohl aus ihm geworden ist. Sie hat ihn nie wieder gesehen.

Neben der „quasi nebenbei notierten, oft aphoristisch zugeschliffenen, inhaltlich immer unkonventionell verlaufenden Prosa", die Hans Bergel Bettina Schuller in seinem Porträt zu ihrem 80. Geburtstag als Stärke attestiert , stehen die Zeichnungen des gebürtigen Hermannstädters Helmut von Arz, die das Buch „Führerkinder" illustrieren. Sein „präziser Strich" ist schon auf dem Cover zu bewundern. Fein gezeichnet sieht man dort den Marktplatz von Kronstadt mit dem alten Rathaus, an dessen Giebel das Kronstädter Wappen zu erkennen ist. Was die geometrische Ruhe stört, sind nur die roten und schwarzen Farbspritzer, die mit dem weißen Hintergrund einen unheilvollen farblichen Dreiklang bilden. Etwas weicher, aber ähnlich markant sind die Zeichnungen im Inneren des Buches, die zwar sparsam eingesetzt wurden, aber den Text dezent-wissend „untermalen" – der Illustrator von Arz ist nur ein Jahr jünger als die Autorin Schuller.

Das Buch „Führerkinder" enthält neben den Erinnerungen die ihnen inhaltlich verwandte Erzählung „Die Beutelkultur oder Das Lied der Bewegung" (1989) sowie mit „Das Gedächtnis" betitelte Aphorismen, die den Kreis schließen. „Es gibt Himmel und Hölle. Jeder baut unbewusst an seiner Hölle oder an seinem Himmel mit seinen von ihm erwählten Erinnerungen. Wer ist der Zensor, der da führt? Mein Ich hat im besten Fall Mitspracherecht."

Doris Roth, aus der Siebenbürgischen Zeitung vom 26.03.2013

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